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„Fühle mich verpflichtet, Engagement zu zeigen“ – Igor Levit im Interview

Mit drei Jahren beginnt er mit dem Klavierspielen. Mit sechs Jahren spielt er mit dem Philharmonischen Orchester seiner Heimatstadt. Von Russland nach Deutschland wandert er als Kontingentflüchtling aus, absolviert sein Studium an einer Hochschule für Musik in Hannover mit der dort höchsten Punktzahl jemals. Er gilt als einer der besten Klavierspieler weltweit und hat zahlreiche internationale Auszeichnungen gewonnen, teils als jüngster Teilnehmer. Mittlerweile wurde ihm aber auch für seinen Kampf gegen Rechtsextremismus das Bundesverdienstkreuz verliehen. Er setzt sich insbesondere gegen Antisemitismus ein und wird dadurch auch stark angefeindet. Auch bei Fridays for Future-Demonstrationen war er dabei und hat sich deutlich für mehr Klimaschutz positioniert: Igor Levit. Mit ihm sprechen wir über Klimaschutz in Zeiten, in denen populistische Kräfte an Zustimmung gewinnen.

Umwelt-Magazin: Sie haben Angela Merkel aufgrund ihrer Klimapolitik als Heuchlerin bezeichnet. Wie würden Sie Olaf Scholz im Umgang mit Klimaschutz bezeichnen?

Igor Levit: Das ist sehr viele Jahre her, oder? Wann war das?

Umwelt-Magazin: Das war im Jahr 2019.

Igor Levit: Ich würde Olaf Scholz im Umgang mit Klimaschutz, glaube ich, ähnlich beschreiben wie bei den meisten anderen Themen. Ich halte Olaf Scholz mittlerweile in seiner Art der Kommunikation, in seiner Arroganz, in seinem Nichtsprechen, Nicht-wirklich-Kommunizieren, wirklich für sehr, sehr schwer zu ertragen. Ich würde es wirklich nicht auf den Klimaschutz alleine reduzieren, sondern auf die allermeisten gesellschaftlichen Fragen. Der Mann ist ein Bundeskanzler. Er ist immer noch Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland – und zwar, wie der Name schon sagt, der gesamten Bundesrepublik Deutschland. Es ist unser aller Kanzler. Er schafft es, nach der Brandenburg-Wahl, die so ausgegangen ist, wie sie ausgegangen ist, zu sagen, dass es ein tolles Ergebnis für die SPD sei. Ein tolles Ergebnis „für uns alle“. Dabei haben viele Menschen Politiker*innen gewählt, die für viele in diesem Land buchstäblich lebensgefährlich sind.

Ja, nee, das ist nicht ein tolles Ergebnis für uns alle. Insofern würde ich, glaube ich, nicht nur bezüglich Klimaschutz, sondern auch bezüglich vieler anderer Themen sagen: „Ich fühle mich von meinem Bundeskanzler nicht mehr repräsentiert.“

Fridays for Future & Greta Thunberg

Umwelt-Magazin: Sie haben sich hiermit wie auch schon in der Vergangenheit politisch geäußert. Sie sind befreundet mit Robert Habeck. Sie sind Mitglied der Grünen. Sie haben bei Fridays-for-Future-Demonstrationen mitgewirkt. Wieso verbinden Sie sich als Musiker mit Parteien und Politik. Schadet einem das nicht eher?

Igor Levit: Ob mir das schadet, ist keine Frage, die ich mir je gestellt habe. Ich fühle mich als Bürger dieses Landes verpflichtet, Engagement zu zeigen. Eine Demokratie lebt, steht und fällt mit dem Engagement eines jeden Einzelnen. Wir alle haben Verantwortung, wir alle suchen uns gewisse Wege, wie wir dieser Verantwortung nachkommen. Ich bin der Partei der Grünen beigetreten vor gar nicht mal so wenigen Jahren, weil ich ein sehr starkes und enges Vertrauensverhältnis zu einigen Akteur*nnen der Grünen habe. Ich habe das auch nie bereut, bin aber sehr kritisch mit der Partei. Das ist ja auch gut so. Aber vor allem bin ich Staatsbürger. Wie sollen mir denn Engagement und eine Verbindung zu einer Partei denn schaden? Also: Nein, ich habe mir darum nie Gedanken gemacht. Ich werde mir darum keine Gedanken machen. Wer das zum Thema machen will, der soll es probieren.

Umwelt-Magazin: Haben Sie in der Vergangenheit irgendwelche Beschimpfungen erlebt, weil Sie Mitglied der Grünen waren?

Igor Levit: Keine, die ich besonders ernst genommen habe.

Umwelt-Magazin: Greta Thunberg äußert sich seit einem Jahr nicht selten pro-palästinensisch und ist gleichzeitig eine Art Ikone der Klimabewegung. Viele Menschen, auch Politiker*innen, haben sich daraufhin von Greta Thunbergs Äußerungen distanziert und sie kritisiert. Wie sollte man mit den Äußerungen Ihrer Meinung nach umgehen?

Igor Levit: Wie man mit diesen Äußerungen umgehen soll? Jeder soll sich selber im Spiegel anschauen. Für mich ist Greta Thunberg mittlerweile seit diesem Jahr eine politische und moralische Persona non grata.

Umwelt-Magazin: Finden Sie, man sollte sich, wie es Fridays for Future Deutschland gemacht hat, von den Organisationen, die Thunbergs Meinung teilen, abkapseln? Oder sollte man sagen, nur wenn wir alle zusammen für Klimaschutz kämpfen, sind wir stark?

Igor Levit: Was Fridays for Future Deutschland gemacht hat und auch proklamiert hat, dem habe ich nichts hinzuzufügen.

„Ihr könnt alle Umweltschutzfragen in den Rucksack packen und aus dem Fenster werfen, wenn ein Land von Extremisten regiert wird“

Umwelt-Magazin: Okay – Hat für Sie der Kampf gegen Antisemitismus, gegen Extremismus, etwas mit Umweltschutz zu tun?

Igor Levit: Ihr könnt alle Umweltschutzfragen in den Rucksack packen und aus dem Fenster werfen, wenn ein Land von Extremisten regiert wird, die einen der entscheidenden Punkte, der für die Gesundheit und das Bestehen jeder Demokratie von essenzieller Bedeutung ist, mit Füßen treten: das faktische Kommunizieren. Wenn dieses Land irgendwann von Menschen regiert werden sollte, die einfach keine Fakten mehr kennen, sondern nur noch über Gefühle gehen, dann gibt es keinen Klimaschutz mehr. Insofern ist der Kampf gegen Demokratiefeinde, von welcher Seite auch immer, das Fundament für jede Form des Kampfes für den Klimaschutz.

Umwelt-Magazin: Ist das nur die AfD oder sind das auch noch andere Parteien?

Igor Levit: Es gibt auch andere. Es ist die AfD, es ist das BSW, es sind aber auch Bewegungen auf der Straße. Noch einmal: Jede Bewegung, die das demokratische Miteinander als solches mit Füßen tritt und gefährdet – praktisches Sprechen gefährdet, Menschen gefährdet – kann niemals Partner sein für eine Klimaschutzbewegung. Und wer da verwässert, dem glaubt man weder das eine noch das andere.

Umwelt-Magazin: So ein typisches Konzerthaus, wie nachhaltig ist das?

Igor Levit: Das kann ich nicht pauschal beantworten, das müsste jedes Konzerthaus selbst beantworten. Das kann ich nicht sagen.

Als Prominente*r öffentlich für Klimaschutz eintreten?

Umwelt-Magazin: Gibt es da einige Vorbilder oder macht man sich da überhaupt Gedanken drüber?

Igor Levit: Man macht sich immer mehr Gedanken drüber. Es ändert sich das Reiseverhalten, es ändert sich das… Natürlich macht man sich da Gedanken drüber. Jedes Konzerthaus, jede große Institution und sei es aus Gründen der Kosten, macht sich natürlich Gedanken darüber, wie es nachhaltig funktionieren kann. Selbstverständlich. Aber wie jetzt ein Haus konkret aufgestellt ist, das kann ich euch so nicht sagen.

Umwelt-Magazin: Wie stark ist das Bewusstsein für Klimaschutz in der Profimusik-Branche? Kann man das besser sagen?

Igor Levit: Es gibt solche und solche. Musikerinnen und Musiker sind auch nur Menschen. Es gibt welche, für die ist das von sehr großer Bedeutung. Es gibt welche, für die ist das von keiner großen Bedeutung. Ich habe noch niemanden kennengelernt, der mir gesagt hat: „Das ist mir egal.“ Für manche ist das eben einfach nicht der Hauptfokus, aber ich glaube: Es gibt kaum mehr jemanden, der das Thema des Erhaltens von Lebensgrundlagen nicht für essentiell hält. Aber noch einmal: Ohne ein politisch halbwegs gesundes, faktenbasiertes, nicht Menschenleben-gefährdendes Fundament, können wir uns jede Klimapolitik einfach sparen.

Umwelt-Magazin: Viele bekannte Persönlichkeiten haben sich im Gegensatz zu Ihnen bisher noch nicht zu Klimaschutz geäußert – Nicht nur zu Klimaschutz haben sie sich nicht geäußert, sondern zum Zustand der Demokratie insgesamt. Sie haben sich noch nicht politisch geäußert. Haben Sie eine Idee, warum?

Igor Levit: Auch das wieder: Müsst ihr jeden Einzelnen und jede Einzelne selbst fragen. Ich kann niemandem Dinge vorschreiben – niemand muss, alle sollten, ja, aber niemand muss. Wir leben in einer freien Gesellschaft. Die Entscheidung, sich zu äußern, sich zu engagieren, ist auch Teil von einer freien Gesellschaft. Da darfst du auch sagen: „Nein, ich will nicht. Ich kann nicht. Der Preis dafür ist zu hoch, ich habe Angst, etc.“ Jeder hat das Recht, das zu denken. Ich ticke nur anders. Ich würde auch niemandem pauschal daraus einen Vorwurf konstruieren. Es gibt welche, die sind einfach ignorant. Kann sein. Das ist leider so. Manche Menschen sind ignorant. Aber, hey, nochmal, freie Meinungsäußerung, freie Gesellschaft. Das gilt so. Ihr könnt niemanden zwingen, ihr solltet niemanden zwingen zu etwas, was ein souveräner Mensch nicht will. Ich finde es schade, ich finde es falsch. Aber ich werde niemanden deswegen an den Pranger stellen. Und dann gibt es einfach welche, die gewisse Ängste haben und die kann ich sehr nachvollziehen. Ich ticke anders, ich tue es trotzdem, aber ich kann jeden verstehen, der sich fragt, ob er bereit ist, den Preis einer gewissen Öffentlichkeit und eines gewissen Engagements zu zahlen.

Umwelt-Magazin: Würden Sie sagen, die Bereitschaft, sich als Prominenter politisch zu äußern, hat sich gewandelt in der letzten Zeit?

Igor Levit: Ja.

Umwelt-Magazin: Beim Klimaschutz und Demokratie insgesamt, beim Sprechen über Populismus oder an welcher Stelle?

Igor Levit: Ja, natürlich. Es braucht einen Knopfdruck auf deinem Handy, um jemandem zu schreiben: „Ich finde dich, ich schlage dich.“ Es braucht ein Knopfdruck, um zu schreiben: „Ich weiß, du bist [an dem und dem Datum] auf der Bühne, [an dem und dem Ort], ich schieße dich von der Bühne.“ Es braucht nicht einmal jemanden, der das ernst meint. Es braucht nur jemanden, der ein Knopfdruck tätigt. Insofern ist der Preis, den man mental bezahlt, teils sehr hoch. Und zu entscheiden, ob man das will, liegt bei jedem Einzelnen und jeder Einzelnen. Niemand von außen, außer die Menschen, die es betrifft, hat das Recht, dies zu kritisieren.

Wir alle für Klimaschutz jetzt!

Umwelt-Magazin: Sie haben es ja wahrscheinlich mitbekommen: Wir haben verschiedene Menschen angeschrieben und manche haben uns zugesagt für ein Interview, Sie zum Beispiel – Die meisten haben uns natürlich nicht zugesagt – und andere haben uns für Videobotschaften zugesagt. Wir wollen die Videobotschaften auf unserer Internetseite veröffentlichen und möglichst verschiedene Perspektiven zusammenbringen. Und jetzt fragen wir Sie: Wenn Sie die Möglichkeit hätten, eine Botschaft zur Umweltkrise an die Menschheit zu richten, was würden Sie inhaltlich sagen? Natürlich sind wir nicht die Menschheit, aber (…)

Igor Levit: Der Themenkomplex des Umweltschutzes, wenn der euch wichtig ist, und wenn ihr euch darum sorgt, wenn ihr möchtet, dass sich Dinge verändern, dass das Thema im Fokus bleibt, dass das faktenbasierte, wahrheitsbasierte Denken im Fokus bleibt: Dann engagiert euch dafür, dass Extremisten nicht das Ruder in diesem Land übernehmen – weil ihr euch ansonsten von diesem Thema politisch eigentlich verabschieden könnt. Das ist meine Botschaft.

Bildrechte: ©Peter Rigaud

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