Die unterschätzten Algen

Algen werden häufig unterschätzt: Stinkendes Zeug am eigentlich so schönen Strand – Im besten Fall sind sie hübsch anzusehen. Doch sie spielen eine bedeutende Rolle im Kampf gegen die Klimakrise, sind wohl ähnlich wichtig wie Bäume und sind auch immer wieder Teil der Arbeit innovativer Start-Ups. Sie sind zum Teil für Menschen essbar, können aber auch eine große Gefahr für das Meer darstellen – Ein Überblick über den Facettenreichtum der Alge.

Das lateinische Alga bedeutet „Seegras“ oder „Tang“ und bezeichnet Pflanzen, oder wissenschaftlicher formuliert: „eukaryotische Organismen“. Eukaryotische Organismen sind mindestens Einzeller mit einem Zellkern, leben im Wasser und betreiben Photosynthese. Für 2,5 Milliarden Jahre waren sie die einzigen Pflanzen auf der Welt und sorgten dafür, dass der Sauerstoff in die Atmosphäre kam. Heute binden die urzeitlichen Vielkönner rund die Hälfte des weltweit von Lebewesen aufgenommenen Kohlenstoffdioxids. Als Basis der Nahrungskette im Meer bilden sie zudem die Grundlage aller aquatischen Ökosysteme und spielen so für Leben und Klima auf unserer Erde eine zentrale Rolle.  Inzwischen kennt man rund 39.000 Algenarten und schätzt deren wahre Vielfalt aufs Zehnfache – vom Mikro-Winzling bis zum meterlangen Tang.

eine Mikroalge

Bedeutung von Algen

Viele Algen sind mit dem bloßen Auge gar nicht zu erkennen. Sie sind zwar winzig klein, doch haben sie eine große Auswirkung auf Flüsse, Seen, Meere und besonders die Tiere die in diesen Gewässern leben. Jedes Jahr wachsen in den Weltmeeren Milliarden Tonne winziger Algen heran. Eine wichtige Eigenschaft von Algen für uns Menschen ist, dass sie sehr viel Sauerstoff produzieren: Einen nicht geringen Anteil des Sauerstoffes unserer Atmosphäre. Forschende gehen davon aus, dass jedes zweite Sauerstoffmolekül in der Atmosphäre von Algen gebildet wird. Algen sind somit genauso wichtig für unser Klima wie Landpflanzen, da sie mithilfe von Fotosynthese nicht nur Sauerstoff herstellen, sondern auch das Treibhausgas CO₂ binden.

Aber nicht nur fürs Klima sind Algen unentbehrlich. Ohne sie gäbe es weder tierisches Plankton, Krebse, Fische noch Wale. Algen stehen als Primärproduzent an erster Stelle im maritimen Nahrungsnetz. Ein Gewässer ohne Algen sieht zwar hübsch türkis aus, ist aber vergleichbar mit einer Wüste – hier gibt’s für Wassertiere so gut wie nichts zu essen.

Negative Auswirkungen auf das Meer

Eine negative Auswirkung auf die Meere ist zum Beispiel, dass durch die Algenernte Lebensräumen zerstört werden. Jahr für Jahr werden nämlich bis zu zehn Millionen Tonnen Algen aus den Ozeanen gefischt – meist aus Aquakulturen in asiatischen Gewässern. Aber auch die menschlich verursachte Überdüngung ist für das Meer ein Problem.

Eine Algenblüte in einem Kanal

Durch die Überdüngung beginnt in den Meeren ein extremer Algenwachstum auch „Algenblüte“ genannt. Vor allem Phosphor- und Stickstoffverbindungen, die in Kunstdünger, Gülle und Fäkalien vorkommen, regen die Algen zum Wachstum an. Sie gelangen über Flüsse, Bäche und Kanalisationen in die Gewässer. Dort beginnen die Algen zu wachsen. Nach dem Absterben werden sie von Bakterien, die einen sehr hohen Sauerstoffverbrauch haben, zersetzt. Dadurch entstehen im Extremfall sauerstofffreie Zonen, in denen Fische, Krebse und Muscheln nicht mehr überleben können. Ein Beispiel für so ein überdüngtes Gebiet ist das Mississippi Delta am Golf von Mexiko, in dem sich ein 20.000 Quadratkilometer große Todeszone gebildet hat. Dies kann jedoch verhindert werden, wie Untersuchungen im deutschen Einzugsgebiet der Ostsee zeigen: Durch das Verbot von phosphorhaltigen Waschmitteln, eine bessere Reinigung in Kläranlagen und einem optimalen Einsatz von Phosphordünger konnten zwischen 1985 und 2005 rund 50.000 Tonnen des Phosphors eingespart werden. Auch der Stickstoffverbrauch konnte in diesem Gebiet verringert werden, wodurch viele Algenblüten verhindert oder zumindest verkleinert werden konnten.

Algen als Nahrung


Algen sind mittlerweile sehr beliebt. Bei uns werden sie vor allem in Sushi oder Salaten gegessen. Die gesunden Nährstoffe in Algen sind zum Beispiel Kalzium, Magnesium und Eisen. Sie sind daher ideal für eine vegane Ernährung, außerdem ist der Proteingehalt von Algen höher als er bei einem Schnitzel oder Ei ist. Die Nori-Alge enthält Vitamin B12, was sonst eigentlich nur in Fleisch oder in tierischen Produkten enthalten ist. Bei Vitamin B12 handelt es sich um einen wichtigen Baustein zum Stoffwechsel und zur Blutbildung.

Allerdings können getrocknete Algen sehr viel Jod, ein Salz, enthalten. Zu viele Salze sind für den Körper aber nicht gut. Deshalb sollten Schwangere, Ältere, Menschen mit geschwächten Immunsystem oder Schilddrüsenerkrankte abklären lassen, ob sie trotzdem Algen essen dürfen.

Algen als Kosmetik und Medizin

Dass Algen Powerpakete an Vitalstoffen sind, ist bekannt. Dr. Ines Linke ist promovierte Meeresbiologin. Ihre Leidenschaft ist die Erforschung unseres „Regenwalds der Meere“. Sie ist außerdem Geschäftsführerin von Oceanbasis, einer Firma für nachhaltige Gewinnung und Produktion von Kosmetik auf Basis mariner Wirkstoffe – quasi als feines Nebenprodukt ihrer wissenschaftlichen
Arbeit zu nachhaltigem Meeresmanagement.

Sie erklärt:

„Was Algen draufhaben, ist fantastisch! Sie sind wie ein Schutzschild gegen schädliche Einflüsse, können Feuchtigkeit extrem gut binden, wirken
entzündungshemmend und aktivieren die Zellerneuerung, das heißt, sie sind wahre Anti-Aging-Helden. Mit Oceanwell haben wir die erste Naturkosmetik mit dem strengen Natrue-Siegel auf den Markt gebracht, die ganzheitlich mit Meeresinhaltsstoffen arbeitet.“

Die Wissenschaftlerin sagt weiter:

„Wir wussten, dass ihre Inhaltsstoffe wie Mineralien, Vitamine, Spurenelemente, Aminosäuren, Algenzucker und Polyphenole ein enormes Potenzial für die Gesundheit besitzen. Die Laminaria braucht sie selbst zum Wundschutz und um nicht auszutrocknen, denn Algen sind schädlichen Einflüssen viel direkter ausgesetzt als Lebewesen an der Luft.“

Vermutlich leicht ist nachvollziehbar, warum diese Eigenschaften ein Plus für die Hautpflege bedeuten können, zumal das Meerwasser selbst eine wichtige Rolle spielt. „Schon Hippokrates, ein Arzt des Altertums, wusste, dass die Mineralstoffverteilung im menschlichen Blutplasma nahezu identisch ist mit dem des Meerwassers. Auch deshalb gelangt es durch die Ober- bis in die Unterhaut und auch der pH-Wert der Alge unterscheidet sich kaum von dem unserer Haut“, so die Meeresbiologin, die in Portland, Boston und Jamaika forschte. Mit einem eigens entwickelten Fermentationsverfahren mit Hilfe von Hefe, nicht unähnlich der Weingärung, werden die kostbaren Inhaltsstoffe schonend aus den Algen extrahiert. Gemeinsam mit den Universitäten in Kiel und Lübeck forscht Oceanbasis an neuen Behandlungsmöglichkeiten bei Neurodermitis und zur Bekämpfung von Krebs- und Viruserkrankungen. Ein weiterer Arbeitsbereich ist die Gewinnung ozeanischen Kollagens, das aufregende Aussichten für den Wiederaufbau von Knorpeln (zum Beispiel am Knie) und für die Wundheilung verspricht.

Nachwachsender Rohstoff

Algen produzieren 30 mal mehr Öl als Raps oder Mais. Jedoch ist für all diese Pflanzen Ackerland nötig, das angesichts der steigenden Bevölkerungszahlen knapp wird. Die Alge wiederum braucht nicht viel zum Wachsen: lediglich Nährstoffe, Licht, Wasser und Kohlendioxid. Von wissenschaftlicher und kommerzieller Seite wächst dadurch das Interesse an der Nutzung der Algen zur Produktion von Bioenergie sowie in der Biotechnologie.

Die Mineralölindustrie investiert seit Jahren in die Energiepflanze. Die Alge Chlorella vulgaris eignet sich besonders gut für die Herstellung von Biodiesel. Dafür wird sie getrocknet, aus dem Algenpulver wird Öl extrahiert. Die Qualität
reicht zurzeit aber noch nicht aus, um Treibstoff zu erzeugen. Doch es wird weiter geforscht, wie Verfahren verbessert werden können. Das Problem ist nur: Die Anlagen- und Betriebskosten sind momentan zu teuer, um mit Biosprit aus Algen Gewinn zu machen.

Algen können außerdem Stickstoff und Phosphat aus Abwasser aufnehmen und es dadurch reinigen. Bei diesem Prozess wird Kohlendioxid aus der Luft und dem
Abwasser durch Licht in Sauerstoff umgewandelt. Schadstoffe aus dem Abwasser werden abgebaut; das Wasser wird gereinigt. Mit diesem Verfahren könnten Abwässer aus Landwirtschaft und Industrie gesäubert werden. Algen in Kläranlagen sind für Unternehmer*innen auch aus anderer Sicht interessant. Sie produzieren Biomasse, aus der Biosprit gewonnenen werden kann. Die Firma Aquaflow in Blenheim (Neuseeland) nutzt Algen bereits für diese Zwecke. In einem Container auf dem Gelände des Unternehmens werden die Nährstoffe aus den Abwässern der Region in eine Algenpaste verwandelt. Aus dieser werden dann
Rohöl, Kerosin für Flugzeuge oder Industriechemikalien hergestellt. Das gereinigte Abwasser ist nach Unternehmensberichten sehr sauber. Zurzeit arbeitet sie daran, die Technik der Abwassereinigung zu verbessern, um Trinkwasserqualität zu erreichen.

Quellen

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